Samstag, 24. Januar 2009
 
Zensuropfer "Tatort" PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Eva Kumar   
Montag, 11. Februar 2008

Aus Gründen der Pietät ist eine "Tatort"-Folge vom ARD verschoben worden. Was trieb den ORF, die Folge ebenfalls nicht zu senden?

Integrations-Krimi

Ich bin ja ein Tatort-Fan und habe mich gestern schon gewundert, dass die geplante Folge vom ARD so schnell aus dem Programm genommen wurde - wie ich denke, vor allem aus aktuellem Anlass des Deutschland-Besuches Erdogans, der in seiner Rede an die in Deutschland lebenden Türken vor allzu viel Integration warnt.

Die Folge "Schatten der Angst" spielt in Ludwighafen, die Geschichte des Krimis: Ein Mord an einem türkischen Imbissbesitzer, der eine Ehe führte, die unter dem Schlagwort "Zwangsehe" nicht nur in Fernsehgeschichten seit einiger Zeit debattiert wird. Die Folge wurde nun vom ARD auf den 6. April verschoben. Der Anlass: Ein Brand mit neun Toten in einem von Türken bewohnten Haus in Ludwigshafen. Die Hintergründe des Brandes: bisher ungeklärt. Die offizielle Begründung für die Verschiebung: Rücksichtnahme auf die Trauergemeinde, deren Gefühle man nicht verletzen wolle.

Wie die taz, der Spiegel online und der Stern heute berichten, begrüßen Türkisch-Deutsche in bester Lobbyarbeit die Verschiebung eines Fernsehkrimis, in dem die Geschichte eines repressiven, patriarchalen Familiensystems problematisiert wird. Die schlotternde Angst der Verantwortlichen in ARD und Politik vor neuerlichen Demonstrationen - wie sie in Köln stattfanden nach dem 23. Dezember 2007, als der Tatort "Wem Ehre gebührt" eine Geschichte erzählte, die der alewitischen Gemeinde nicht gepasst hat.

Der stellvertretende Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland hat damals verlangt, dass der zuständige Intendant "die Folge direkt in die Schubladen tun und vergessen" solle, wenn sie schon die Gefühle von Deutsch-Türken verletze.

Susanne Lang schreibt in der taz:
Ein TV-Krimi verhandelt bei aller Realitätsnähe eine fiktive Geschichte. Ein Krimi, insbesondere die für ihre gesellschaftliche Relevanz zahlreich preisgekrönte ARD-Reihe "Tatort", verhandelt Themen unterhaltsam, aber nicht haltungslos, mitunter sozial-kritisch. Dies gilt auch für jene Krimis, die im deutsch-türkischen Milieu spielen.

Bisher haben sich Ostdeutsche in diversen Tatort-Folgen als provinzielles, kriminelles Völkchen von Denunzianten, Sexualmördern und Pädophilen darstellen lassen. Sie haben bisher noch nicht verlangt, - weder mit noch ohne Unterstützung des wahlkämpfenden (SPD-Chefs) Kurt Beck - dass  diese Art der Darstellung in Fernsehkrimis, die von öffentlich-rechtlichen Sendern ausgestrahlt werden, nicht mehr die Gefühle Ostdeutscher verletzen sollen. Auch dann nicht, wenn vielleicht Ausstrahlungstermine ungünstig geplant waren, wenn womöglich gerade erst ein Sexualdelikt eine Familientragödie ausgelöst hat.

Einige SchauspielerInnen, PolitikerInnen und JournalistInnen sind ganz zufrieden mit der Rücksichtnahme, während andere sich fragen, wohin das führen soll. Mit all der Rücksichtnahme und dem sensiblen Einfühlen in alle halluzinierten seelischen Verletzungen, die möglicherweise jemand irgendwo erleiden könnte, weil er/sie eine in einem Film oder einem Buch erzählte fiktive Geschichte als Realität nimmt, bleiben Kritik und offenes Aussprechen, bzw. dramatische Darstellung und Verfremdung von Realität auf der Strecke.

In Deutschland hat die Aktion des ARD von gestern schnelle Reaktionen in allen großen Medien nach sich gezogen - in Österreich nicht. Der ORF 1 hatte für dieselbe Tatort-Folge den Sendetermin nach dem des ARD und auch hier wurde die Geschichte unangekündigt aus dem Programm genommen. Während der ARD den geplanten Tatort durch eine ältere Geschichte "Der rote Tod" ersetzt hat, wurde vom ORF 1 eine Folge gesendet, die auch nicht - wie "der rote Tod" die Ärzteschaft vergrämen bzw. Misstrauen säen konnte gegen eine Pharma-Lobby, die gespenstisch an die inzwischen von Baxter aufgekaufte Immuno erinnert hat. Das ist natürlich nur haltlose Spekulation. Aber sie entsteht, wenn gar nicht darüber gesprochen wird und kein Grund angegeben wird, wenn spontan eine Sendung aus politischen Gründen aus dem Programm genommen wird - fürchtet der ORF Demonstrationen der in Österreich lebenden Türken, fürchtet er mahnende Worte von Erdogan, fühlt der ORF mit den Brandopfern in Ludwigshafen mit, oder folgt der ORF einfach einer Anweisung - aber von wem?

www.taz.de/1/leben/medien/artikel/1/brandopfer-tatort/?src=SZ&cHash=16854e12f9


Anmerkung der Redaktion: Der ORF hat keine Erstausstrahlungsrechte für den Tatort, mußte also den Rückzieher mitvollziehen.


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